Dies + Das
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      Willkommen auf der HP von Erhard Neumann

 

 

ÄQUATORTAUFE  1961

 

 

 

Auf manchen Schiffen wurde die Zeremonie der Taufe beim Überqueren des Äquators nicht vollzogen, da es von Seiten vieler Reedereien nicht gestattet war.  Es hieß, ein Grund für dieses Verbot war sicherlich der Umstand, dass es dabei  oftmals schon zu Unfällen gekommen wäre. Auch ich wurde erst getauft, nachdem ich den Äquator schon mehrfach überfahren hatte. Da man im Vorfeld durch Erzählungen immer wieder hörte, wie rau es bei so einer Taufe zuging, sah man als Betroffener diesem Tag mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. 

Von Skandinavien kommend hatten wir die raue See des Nordatlantischen Oceans längst hinter uns gelassen. Auch die von manchem nicht so seefesten Fahrensmann in unangenehmer Erinnerung behaltenen Biskaya war gut überstanden und schon fast in Vergessenheit geraten. Backbord querab befanden wir uns in etwa auf der Höhe von Liberia/Westafrika, die See war ruhig, fast spiegelglatt mit leichter Dünung.

Dennoch war eine plötzlich aufkommende Unruhe an Bord spürbar. Eine Geschäftigkeit setzte ein, selbst bei Besatzungsmitgliedern, die sonst eher zur Trägheit neigten. Es wurde getuschelt, Gespräche verstummten, wenn unverhofft jemand hinzutrat, kurz, es war offensichtlich, dass ein außergewöhnliches Ereignis bevorstand.

Und da auch Seeleute nur Menschen sind sickerte aller Heimlichtuerei zum Trotz - durch, dass man die Äquatortaufe vorbereite.Wer schon getauft war suchte fieberhaft nach seinem Taufschein. Fand man ihn, war man gerettet, hatte man ihn womöglich zuhause vergessen, wurde man als "nicht getauft" eingestuft und musste sich in die Reihen der Täuflinge eingliedern, da half auch keine noch so gute Ausrede oder Beteuerung.

Am Abend vor erreichen des Äquators wurden die Täuflinge - ich gehörte auch dazu - aufgefordert sich möglichst alte, leichte Klamotten anzuziehen und sich auf dem Vorschiff einzufinden. Dort wurden wir "gefangen genommen" und unter der Back ins Kabelgatt gesperrt. Wie der Name schon vermuten lässt wird dort allerlei Tauwerk aufbewahrt. Es ist kein Ort für empfindliche Nasen, es riecht nach Ölen, Fetten, Teer und feuchtem Tauwerk und  mangels Bullaugen kann dieser Mief nicht wirklich abziehen. Da Boden, Decke und Seitenwände aus Eisen sind, war alles von der Sonne bis fast zur Unerträglichkeit aufgeheizt. Großzügig hatte man uns jedoch  einen Bottich extra warmes Wasser nebst Schöpfkelle bereitgestellt, es soll ja keiner verdursten.

Jede Nacht geht irgendwann zu Ende und als man uns morgens wieder raus ließ, wurden uns die Hände zusammen gebunden  und Fußfesseln angelegt, die nur kleine Schritte erlaubten. Wir wurden Neptun, seiner Tochter Thetis, zwei als Neger geschwärzten Gesellen in Baströckchen und einem Pastor vorgeführt. Neptun, ausgerüstet mit Dreizack, Perücke aus gelbem Hanf und ansonsten bekleidet wie Robinson, hielt einen Ansprache, bei der es im Wesentlichen darum ging, dass er Neptun, Herrscher aller Meere, Seen Teiche, Flüsse und Tümpel dafür Sorge tragen müsse, dass wir vom Schmutz der Nördlichen Halbkugel gereinigt, nach äquatorialem Ritus getauft , gehörig gesalbet und somit vorbereitet würden, fortan die südlichen Gewässer befahren zu dürfen.

Aus Brettern, Bohlen und Persenning war ein Wasserbecken von etwa 3 x 3 Metern und ca. 1,50 m  Tiefe aufgebaut worden, in dem nun die beiden "Neger" in Position gingen. Neptuns Tochter Thetis hatte auf einem Stuhl gegenüber dem Wasserbecken Platz genommen und am Beckenrand erschien plötzlich ein "Arzt"  im weißen Kittel mit Stethoskop, einem Spiegel auf der Stirn, einem Gummihammer  in der Hand und einem roten Kreuz auf der Brust. Neben sich einen Eimer mit  flüsssiger Medizin, aus dem es Gottserbärmlich stank. In einem zweiten Behältnis bewahrte  er Pillen auf, so groß wie Tischtennisbälle, sie rochen nicht weniger streng und ließen nichts Gutes ahnen. Ihm zur Seite stand noch ein Frisör mit einem überdimensionierten Rasiermesser, einem Rasierpinsel, wie Maler ihn zum Tapeten einstreichen benutzen und einer Schere, die - wie sich später heraustellte - saumäßig stumpf war. 

Etwas seitlich vom Becken war ein Windsack von ca. 5 m Länge, wie eine Hängematte aufgehängt. Um zu den beiden Öffnungen zu gelangen, mussten  jeweils drei hölzerne  Treppenstufen erklommen werden. Oben an jeder Öffnung stand ein Gehlfe mit einem dicken Wasserschlauch mit deren Hilfe der Windsack voll Wasser gehalten wurde. 

Einzeln wurden nun die Täuflinge zum Rand des Beckens geführt, wo sie sich erst hinknien mussten, um Thetis die Füße zu küssen. Was zuvor nicht aufgefallen war, sie hatte ihren großen Zeh mit einer undefinierbaren Paste eingeschmiert, die entsetzlich stank und von ihr in einer geschickten Bewegung dem Täufling so in Augen und Nase gerieben wurde, dass sie  dort ordentlich brannte. Jetzt kam der Frisör zum Einsatz. Er seifte einem mit seinem Riesenpinsel den ganzen Kopf ein, stellte dabei eine Frage und verlangte, dass man ihm in die Augan sah. Kaum waren Mund und Augen geöffnet, klatschte er einem den Seifenquast nochmals ins Gesicht, damit man einen klaren Blick bekäme. Mit einem  aufgerauten hölzernen Messer schabte er einem nun den Schaum aus dem Gesicht. Zum Abschluss schnitt er einem mit seiner stumpfen Schere Büschelweise die Haare. Dies aber auf eine Weise, dass man hinterher nicht so genau wusste, ob die Haare nun geschnitten oder eher ausgerissen worden waren. 

So geschunden, wurde man Übergangslos in die Obhut des Arztes weitergereicht. Dieser klopfte einem äußerst unsanft mit einem Hartgummihammer ab, um die Reflexe zu prüfen. Er versäumte es auch nicht nach der Beschaffenheit der Mandeln zu sehen. Bei dem obligatorischen "aaahhh" mit weit geöffnetem Mund stopfte er einem eine dieser ekligen Pillen in den Rachen, schüttete einen kräftigen Schluck der flüssigen Medizin aus dem großen Eimer nach. Durch stochern mit dem Stiel eines Kochlöffels sorgte er dafür, dass der Patient die Medizin auch schluckte. Ich fühlte mich wie eine Ungarische Stopfgans. Was mich selbst betrifft, so hatte ich von der Medizin 3 Tage lang Magenkrämpfe und Durchfall und mein After brannte ebenso lange wie Feuer. 

Völlig unerwartet, damit man nicht zum vorherigen Luftholen kam, rissen einen die beiden "Neger" nun rücklings ins Wasserbecken und hielten einen untergetaucht fest, bis sie merkten, dass der Täufling Panik bekam. Dann zogen sie ihn kurz hoch, um ihn sofort wieder unterzutauchen. Beim zweiten Auftauchen warfen sie die erbarmungswürdige Kreatur wie einen nassen Sack einfach aus dem Becken auf das Deck. Wer da glaubte, die Tortur wäre nun zu Ende, sah sich getäuscht. Jetzt ging es die drei hölzernen Stufen hoch und Kopfüber hinein in den mit Wasser gefüllten  durchhängenden Windsack, der mittels den beiden Schläuchen immer schön voll Wasser gehalten wurde. Bis runter zur Mitte zu kommen, war es ja kein Problem, aber in dem engen Sack am anderen Ende wieder hoch, das erwies sich als schwierig. Zu allem Übel standen außen zwei Gesellen, die mit Knüppeln kräftig auf jede Beule drauf hauten, die sich außen zeigte. Schließlich oben angekommen kroch man ermattet und nach Luft schnappend raus, ging die Stufen runter und sprach gemeinsam mit dem Pfarrer ein Gebet, in dem ausdrücklich der unermesslichen Güte Neptuns und seiner Tochter gedankt wurde. Nach dem Amen, das feierlich und in großer Andacht von allen Anwesenden gesprochen wurde, bekam man seinen Taufnamen nebst Taufschein ausgehändigt. Der mir zugewiesene Name war  SEESTERN.

Meinen Taufschein habe ich immer gehütet wie meinen Augapfel, was jetzt wohl jeder verstehen kann.

 

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LEBKUCHEN AUF IRRWEGEN

 

        ODER DIE WEIHNACHTSFEIER, DIE ETWAS

      AUS DEM RUDER  LIEF

 

Märchen beginnen im Allgemeinen mit "Es war einmal". Da sich das nun Folgende aber ganau so zugetragen hat, wie es hier niedergeschrieben wird, kann ich in diesem Fall auf diese Redewendung verzichten.

Es war der 24. Dezember 1961 - kann aber auch der Heilig Abend 1962 gewesen sein - als sich unser Tanker im Indischen Ozean seinen Weg Richtung Persischen Golf bahnte. Unter dem Kreuz des Südens auf Höhe des Äquators und bei tropischen Temperaturen ist es ungleich schwieriger sich in Weihnachtliche Stimmung zu versetzen, als beispielsweise im  tief verschneiten Süddeutschland. Dennoch hatten wir in Hamburg eine echte Tanne an Bord genommen, sie tiefgekühlt und auch für Weichnachtsschmuck war gesorgt worden. Selbst an Glühwein und Lebkuchen hatte man  an verantwortlicher Stelle gedacht. Es gab einen Aufenthaltsraum an Bord, in dem neben mehreren Tischen nebst Bestuhlung auch Platz für eine Tischtennisplatte war und da dies ohnehin die größte Räumlichkeit war, war es naheliegend, die Tischtennisplatte abzubauen und den Raum für die gemeinschaftliche Weihnachtsfeier herzurichten. Eine Aufgabe, die im Wesentlichen von den Stewards übernommen wurde.

Es gab einen Messesteward in unseren Reihen, der - man muss es leider so sagen - äußerst unbeliebt war, weil er frei nach dem Motto "Herr Kapitän ich weiß was" ständig Augen und Ohren offenhielt, um die Schiffsleitung über alles und Jeden auf dem Laufenden zu halten. Wohl, weil er sich selbst Vorteile durch sein Verhalten versprach. Wie den meisten anderen so war  dieser Umstand  auch mir ein Dorn im Auge und ich grübelte schon lange, wie ich ihm dies heimzahlen könnte. Am Nachmittag dieses Heilig Abend wollte ich die Gelegenheit beim Schopf packen. Ich knetete aus Lebkuchen und Honig eine homogene Masse und  gab für die Farbe etwas Kürbiskernöl hinzu. Mit diesem Material ließ sich ein prächtiger täuschend echt wirkender Haufen formen und das Kürbiskernöl verlieh der "Kacke" außerdem noch den erforderlichen Glanz. Nun ging es nur noch um die richtige Platzierung. Dazu muss man wissen, dass die Tankschiffe komfortabel einegrichtet waren, Klimaanlage in sämtlichen Räumen und für jedes Besatzunghsmitglied stand eine Einzelkammer mit angrenzendem Bad, Dusche, Waschbecken und WC zur Verfügung. Während die Kammern im Hafen abgeschlossen wurden, mussten sie auf See unverschlossen bleiben, ein Umstand, der mir für mein Vorhaben sehr entgegen kam. Ich bereitete alles vor und wartete danach geduldig, bis die Weihnachtsfeier in vollem Gange war und ich sicher sein konnte, dass der M-Steward im Aufenthaltsraum beschäftigt sein würde. Mit meinen Utensilien bewaffnet begab ich mich in seine Kammer,  drapierte den Haufen kunstvoll in seinem Waschbecken, gab ein wenig Bier hinzu, was original wie Urin aussah und als kröneneden Abschluß vollendete ich mein Werk noch mit etwas Klopapier, mit dem ich mir zuvor noch Lebkuchenreste von den Fingern gewischt hatte.  Bevor ich den Tatort verließ, klemmte ich noch eine zerbrochene Stinkbombe zwischen Wand und Waschbecken. Bei der abschließenden Begutachtung des Ganzen fing es mir selber an zu grausen und so war ich mit meiner Machenschaft duchaus zufrieden. 

Wieder zurück bei der Weihnachtsfeier konnte ich beobachten, wie so nach und nach jeder mal seine eigene Toilette aufsuchte, je nachdem, wie viel Bier der Einzelne getrunken hatte, war dies seltener oder häufiger der Fall. Dann war es endlich so weit, dass sich auch mein M-Steward auf den Weg zu seiner eigenen  Keramik machte. Meine Spannung stieg ebenso wie mein Puls. Es dauerte nicht lange und ein kreidebleicher Messesteward erschien im Türrahmen des Aufenthaltsraumes.  Zielstrebig ging er auf den Tisch zu, an dem der Kapitän, der Chief und der I.Offz. Platz genommen hatten und sprach halblaut auf die Herren ein. Diese machten  ungläubige Gesichter, standen aber auf und verließen gemeinsam mit dem Steward den Raum. Kurz darauf kam der Erste zurück und forderte die Anwesenden auf ihm zur Kammer des Messesteward zu folgen. Der Erste ließ die Personen nur einzeln die Kammer betreten und  einen Blick ins Waschbecken werfen. Rechts und links der Tür hatten sich der Alte und der Chief postiert  und wenn sich die eingelassenen Personen  angeekelt vom Waschbecken abwandten, stellte  der Alte jedem einzelnen dieselbe Frage, nämlich: Waren sie das?

Auch ich kam natürlich an die Reihe. Ich beugte mich tief über das Becken, schnupperte vernehmlich, brach mit zwei Fingerspitzen ein wenig von dem Haufen ab, kostete davon und verkündete fröhlich: Das ist ja Lebkuchen!

Der Kapitän - ebenso laut und deutlich - sagte: "Neumann, sie Ferkel, sie waren das also"? und im weggehen schickte er noch hinterher: "Wir sprechen uns noch"!

Ein Nachspiel hatte die Sache für mich aber nicht!

 

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© Erhard Neumann