In jungen Jahren, besser gesagt von
1957 - 1965 fuhr ich bei der
Deutschen Handelsmarine zur See.
Auf obiger Darstellung sind die wesentlichen
Routen übersichtlich zusammengefasst, wobei, wenn es sich um Liniendienst handelte, viele dieser Routen mehrfach
befahren wurden.
Zu der Zeit, zu der ich zur See fuhr, gab es noch relativ lange Hafenliegezeiten, die es teilweise möglich machten, an
Exkursionen ins Landesinnere teilzunehmen, sofern sich dies mit dem Dienst an Bord vereinbaren ließ. Beispielsweise war die Liegezeit in Mombasa selten unter zwei Wochen und gleiches galt
auch für die Aufenthalte in Buenos Aires sowie weiterer Häfen. Viele in obiger Karte eingetragene Routen wurden mehrfach absolviert, andere, auf so genannter "Wilder
Fahrt", nur einmal.
Als dann im Jahre 1965 im Bereich der Frachtschifffahrt immer mehr auf Containerschiffe umgestellt wurde, man gleichzeitig - von Seiten der Reedereien - aus
Kostengründen verstärkt darauf achtete, möglichst pünktlich am frühen Morgen im Hafen einzulaufen, um am Abend desselben Tages wieder auslaufen zu können, war es mit der "Seefahrtsromantik"
weitestgehend vorbei. Dies war für mich - wie für viele andere - der richtige Zeitpunkt an Land zu bleiben und sich beruflich umzuorientieren.
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Mein erstes
Schiff war das "MS ERNA WITT", ursprünglich nur für "Mittlere Fahrt" konzipiert, wurde es auf der
Krögerwerft in Rendsburg statisch verstärkt, um fortan auf "Großer Fahrt" die Weltmeere befahren zu können.
Bevor ich in Kontakt zu Seeleuten kam, hielt
ich mich einige Monate in Frankreich auf, worüber Ihr - falls Interesse besteht - unter "Vorgeschichte" das
ein oder andere nachlesen könnt.
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Im Herbst 1957
traf ich in St. Nasaire an der Atlantikküste auf einige deutsche Seeleute, die mich an meiner Kleidung sofort als Landsmann erkannten und, da sie der französischen Sprache nicht mächtig waren, kam
ich ihnen nicht nur als Mensch, sondern auch als Übersetzer sehr gelegen.
Ihr Schiff - ein riesiger Tanker - es war die WORLD ENTERPRISE von dem griechischen Reeder Niarchos, lag in
der Werft im Trockendock, weil es einen Flügel der gewaltigen Schiffsschraube verloren hatte. Solche Schiffsschrauben werden für jedes Schiff extra angefertigt und so dauerte die Reparatur gute zwei
Wochen, in denen ich viel faszinierendes über die Handelsschifffahrt und die große, weite Welt erfuhr und natürlich den Tagesablauf an Bord eines Schiffes hautnah miterleben konnte. Man muss
bedenken, das zu jener Zeit kaum jemand über einen Fernseher verfügte und nur ganz wenige privilegierte Menschen sich einen Urlaub im fernen Ausland leisten konnten. So war es keine Überraschung,
dass mein Entschluß zur See zu fahren, dort seinen Anfang nahm.
Kaum hatte die WORLD ENTERPRISE den Hafen verlassen, machte auch ich mich auf den Weg über Paris, Aachen,
Hannover nach Hamburg. Ich wusste mittlerweile, dass ich in Hamburg zur Heuerstelle gehen und mir bei einem Herrn Max Timm weitere Anweisungen über die Vorgehensweise holen sollte.
Was ich nicht wusste war allerdings, dass ich eine schriftliche Erlaubnis meines Vaters brauchte, um überhaupt zur See fahren zu dürfen. Zur damaligen Zeit war man erst mit 21 Jahren volljährig. Das
war ein Schock, der erst einmal verdaut werden musste. Ich hatte keine Ahnung, wie mein Vater auf meinen Wunsch reagieren würde und ich war auch nicht sicher, ob er mich nicht schon längst
polizeilich hatte suchen lassen. Mein Lebensmotto war schon damals - und ist es heute noch - den Stier bei den Hörnern zu packen. Also setzte ich mich hin und schrieb meinem Vater einem Brief, in dem
ich der Entgültigkeit meines Entschlusses besonderen Ausdruck verlieh und auch nicht zu betonen vergaß, dass ich bei Verweigerung der Erlaubnis meinen Plan keinesfalls aufgeben würde.
Zu meinem großen Erstaunen erhielt ich innerhalb einer Woche die ersehnte Genehmigung. Dass außer dem förmlichen Dokument kein persönliches Wort beigelegt war, erstaunte mich nicht, focht mich aber
auch nicht an. Die umfangreichen Untersuchungen, die Tropentauglichkeit sowie alle nötigen Impfungen hatte ich in der Zwischenzeit schon hinter mich gebracht. Alle Hürden für ein spannedes Leben nach
meinen Vorstellungen waren genommen und so bekam ich (siehe oben) am 22. Oktober 1957 mein Seefahrtsbuch ausgehändigt. Einen Tag später heuerte ich auf der MS ERNA WITT an und meldete mich als Kochsjunge beim Koch in der Kombüse zum Dienst. Meine erste Reise sollte mich nach Kanada bringen,
ein Glück, das ich kaum fassen konnte.
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Die erste Reise:
Unser Schiff, die MS ERNA WITT, hatte 28 Mann Besatzung und war beileibe nicht groß. Schon damals sprach man eher von einer "Nussschale", als von
einem Hochseeschiff, entsprechend unruhig verlief dann auch die Überfahrt über den Atlantik. Die Herbststürme tobten und es war keine Seltenheit, dass wir beidrehen mussten, um nicht in Seenot zu
geraten. Hinzu kam die enorme Kälte, die immer grimmiger wurde, je mehr wir uns der Kanadischen Ostküste näherten. Das gesamte Vorschiff, die Back, wie auch der Anker waren mit einer dicken
Eisschicht bedeckt, die von Tag zu Tag mächtiger wurde.
Während alle anderen Lebensmittel unter Deck im Achterschiff (achtern = hinten) aufbewahrt wurden, lagerten die Kartoffeln - aus welchen Gründen auch immer - im Vorschiff unter der Back. nahe bei den
Ankerketten. Zu den bei schlechtem Wetter bemitleidenswerten Aufgaben eines Kochsjungen gehörte es auch, die tägliche Ration an Kartoffeln vom Vorschiff ins Achterschiff zu schaffen.
Bei starkem Seegang wurde von den Matrosen zu diesem Zweck ein langes Tau (Strecktau) von der Back entlang den Ladeluken bis zu den hinteren Aufbauten gespannt. So entstand quasi ein flexibler
Handlauf, an dem ich mich mit einer Hand festhalten konnte, mit der anderen umklammerte ich den Kartoffeleimer. Der Koch und ich waren bald ein eingespieltes Team, zumal der Ablauf sich ständig in
gleicher Weise wiederholte: Wenn das Schiff vorne in die See eintauchte, dauerte es nur noch Sekunden und die Brecher klatschten gegen die Aufbauten des Achterschiffs, hinter denen wir standen. Dies
war unser Moment. Der Koch öffnete die schwere Eisentür, ich schlüpfte mit meinem leeren Eimer hindurch und der Koch schloss sofort wieder die Tür hinter mir.
Damit mich der Wind nicht fort tragen und mich auch das abfließende Wasser nicht mitreißen konnte, war es wichtig erst das Tau zu ergreifen und dann so schnell und so weit wie nur irgend möglich nach
vorne zu spurten. Nur selten schaffte ich es weiter als bis zur Mitte, bevor der nächste Brecher über das Deck hinwegdonnerte. Nicht selten stand ich dabei bis zum Hals im eiskalten Wasser und musste
die ganze Kraft, die mir zur Verfügung stand ,aufwänden, um nicht von dieser Wucht fortgerissen zu werden. Bevor dann die nächste Welle kam erreichte ich in der Regel die Back, füllte meinen Eimer
und die Prozedur begann in umgekehrter Reihenfolge. Am Ausgangspunkt wieder angekommen, klopfte ich kräftig mit der Faust an die Eisentür, der Koch öffnete und ich huschte wieder zurück in die
Geborgenheit der Aufbauten.
Während sich der Koch mit dem Eimer in Richtung Kombüse (Schiffsküche) aufmachte, befreite ich mich unter der Dusche vom Salzwasser und zog trocken Sachen an. Wenn ich an diese Tortur bei dieser
barbarischen Kälte zurückdenke, bin ich mir sicher, dass dies nur ein gesunder und vor allem junger Mensch ohne Schaden zu nehmen, überstehen kann.
Irgendwann findet auch die größte Plage ihr Ende und so war es für mich ein doppelt ergreifendes Ereignis, als eines Tages am Horizont das Leuchtfeuer von Neufundland auftauchte. Jetzt dauerte es nur
noch wenige Stunden, bis wir die Mündung des St.-Lorenz-Stroms zu Gesicht bekamen. Ein Augenblick, der mich schier überwältigte. Es folgten Tage voller Emotionen, was hatte ich von diesem Land nicht
alles für Träume geträumt, Pläne geschmiedet, wieder verworfen, neu geschmiedet und nun war ich tatsächlich angekommen!!
Durch die anhaltend schwere See der vergangenen Wochen hinkten wir unserem Zeitplan mächtig hinterher und der frühe und harte Wintereinbruch trug ebenfalls dazu bei, dass die Schleusen zugefroren
waren und wir unsere Route ändern mussten. Wir liefen Quebec an und auch Montreal. Für die Ladung, die für Toronto und Detroit bestimmt war, wurden wir umgeleitet nach Philadelphia.
Es würde den Rahmen dieser Website sprengen, wenn ich an dieser Stelle im einzelnen auf alle angelaufenen Häfen dieser Reise eingehen würde und so beschränke ich mich darauf, sie lediglich zu
erwähnen. Die nächsten Sationen dieser Reise waren Savannah (Georgia), Jacksonville (North Carolina), Tampa (Florida), Havanna (Cuba), Las Palmas (Kanarische Inseln), dort mussten wir Proviant und
Treibstoff bunkern, Abidjan Elfenbeinküste (Westafrika), Freetown (Sierra Leone), Casablanca (Marokko) und Tanger, ebenfalls Marokko.
Den nächsten planmäßigen Hafen erreichte ich leider mit diesem Schiff nicht, denn ich erkrankte sehr schwer an Malaria Tropica, der schwersten von 4 Malaria-Varianten und der einzigen, die einen
tödlichen Verlauf nimmt, wenn sie nicht rechtzeitig behandelt wird.
An die letzten Tage an Bord der ERNA WITT kann ich mich nicht erinnern und kenne deren Verlauf nur aus Erzählungen einiger Kameraden sowie aus der Zeitung. Meine Fieberanfälle nahmen ein
beängstigendes Ausmaß an. Ich verlor in ganz kurzer Zeit 35 Pfund an Gewicht, fiel immer öfter ins Delirium, sodass man statt dem vorgesehenen Hafen Genua, Livorno als Nothafen anlaufen musste. Dort
wurde ich abgeholt und ins Krankenhaus verfrachtet. Unser Schiff wurde unter Quarantäne gestellt, musste 3 Tage ohne Landverbindung im Hafen vor Anker liegen, bis feststand, welche Krankheit sich
meiner bemächtigt hatte und durfte nach diesen 3 Tagen seine Reise ohne mich fortsetzen.
So nahm meine erste Seereisen also nicht das Ende, das ich mir vorgestellt hatte, was mich aber wiederum nicht davon abhalten konnte, auch künftig der Seefahrt treu zu bleiben.
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