Dies + Das
Dies + Das
 

                             Willkommen auf der HP von Erhard Neumann

 

 

 

 

Wie alles begann ...

So lange ich denken kann, war ich von Abenteuerlust und Fernweh getrieben. Anfangs wollte ich - obwohl noch viel zu jung - nach Kanada auswandern und ein Leben in diesem herrlichen Land führen, von dem ich so viel gelesen hatte und man mag es meiner Jungend zugute halten, ich glaubte wirklich genug zu wissen, um dort nicht unterzugehen.

Mein Vater, er ahnte natürlich nichts von meinen heimlichen Sehnsüchten, hatte andere Pläne mit mir - seinem Jüngsten - er steckte mich ins Internat, damit aus mir - ebenso wie aus ihm - ein Lehrer würde.

Nach einigen Jahren dort, fand ich es an der Zeit, den Verlauf meines Lebens selbst in die Hand zu nehmen, packte das Nötigste zusammen und machte mich auf nach Frankreich, das ich per Anhalter und natürlich über weite Strecken auf Schusters Rappen von Ost nach West und von Süd nach Nord durchquerte.

Meinen Lebensunterhalt verdiente ich mir durch Arbeit auf Fermen (Ferm = franz. für Farm) und Plantagen. Auf den Plantagen wurde in der Erntezeit der Lohn nach Kilo gezahlt, was mir sehr entgegen kam, da auf diese Weise der Fleißige mehr verdiente als der Faule. Sparsamkeit war mir nicht fremd und so hielt ich mein Geld zusammen, um dazwischen immer wieder das Land zu erkunden.

Man musste damals in Frankreich als trampender Ausländer bei einer Polizeikontrolle über einen gültigen Reisepass verfügen und Minimum 5 franz. Franc Bargeld mit sich führen. Fehlte eines dieser beiden Kriterien, wurde man zunächst in Polizeigewahrsam genommen und bei nächster Gelegenheit in das jeweilige Heimatland abgeschoben. Meine Barschaft betrug damals beim Grenzübertritt ca. 40 Franc, was weiß Gott keine großen Sprünge erlaubte. Da konnte die Parole nur lauten: So schnell wie möglich eine, wenn auch schlecht bezahlte,  Arbeit zu suchen. "Schlecht bezahlt" deshalb, weil man ohne Arbeitserlaubnis offiziell nur für ein Taschengeld bzw. Kost und Logie beschäftigt werden durfte.

Aus Alkohol machte ich mir nichts und mit etwas Disziplin ließ sich auch das Rauchen ganz gut unterdrücken. Es heißt aber nicht umsonst: Hunger tut weh! Und für einen Jugendlichen im Wachstum, gilt dies in besonderer Weise. Eine Übernachtung mit Frühstück kostete zu jener Zeit in Fernfahrerlokalen 5 Franc - diese waren außen durch ein rundes Schild mit der Aufschrift "Restaurant de Routier" gekennzeichnet. Wenn man fast nichts hat, sind 5 Franc `ne Menge Geld,  diesen Luxus hätte ich mir mit meinem bescheidenen Budget nicht oft leisten können, musste mich also auf andere Art über Wasser halten.

Wenn irgend möglich, suchte ich mir gegen Abend Schlafplätze - meist in einsamen Scheunen - wo ich meinen Schlafsack ausbreiten konnte, um diese dann bei einsetzender Dunkelheit in Beschlag zu nehmen. Geschützte Plätze in Ansiedlungen waren  auch gut, zumal,  wenn ihnen Gemüsegärten angegliedert waren. Häufiger Nachteil, sie wurden oft von Hunden bewacht. Fand sich aber ein solcher Platz, gab ich diesem den Vorzug, denn seien wir doch mal ehrlich, welchem Gartenbetreiber fällt es schon beim erwachenden Morgen auf, wenn drei / vier reife Tomaten oder Radieschen fehlen. 

Eine Angewohnheit der Franzosen kam mir damals auch sehr entgegen. Ganz früh morgens, wenn alles noch schlief, waren schon die Bäcker mit Stangen-Baguette unterwegs, die sie den Kunden in Tüten vor die Haustür stellten. Gleiches galt für den Milchmann, der lieferte zu ebenso früher Stunde frische Milch in Literflaschen an, die mit Pappdeckel - nebst Nippel zum öffnen - versehen waren.

Ein Schlückchen hier, ein Schlückchen da und alles wieder fein säuberlich verschlossen, ich bin sicher, kaum jemandem wird dieser kleine Mundraub je aufgefallen sein. Und mal ganz ernsthaft gefragt, welcher Bäcker könnte guten Gewissens von sich selbst behaupten, sich noch nie verzählt zu haben? - So gesehen bereitete  mir diese Art der Selbstversorgung keinerlei Kopfzerbrechen. -

Anders verhielt sich das allerdings mit folgeneder Begebheit:

 

 

 

 

 

Eines Tages schloss sich mir ein junger Deutscher an, der als Ziel ebenfalls den Süden Frankreichs vor Augen hatte und so profitierten wir beide davon nicht mehr alleine zu sein.

An einem Tag, wir befanden uns auf freier Strecke, weit und breit war keine Ortschaft in Sicht, nur vereinzelt ließen sich kleinere Gehöfte ausmachen  und die wenigen Autos, welche die schlecht befahrene Strasse nutzten, hielten nicht an. Es war um die Mittagszeit, die Sonne brannte erbarmungslos auf uns herab und der Asphalt flimmerte in der aufgestauten Hitze, als wir einige hundert Meter vor uns, eine Uferböschung wahrzunehmen glaubten. In Erwartung eines kühlenden Bades, verließen wir die Strasse und hielten auf das Ufer zu.

Unser Gewässer entpuppte sich aber leider als ein tiefer, ausgetrockneter Panzergraben des II. Weltkriegs, wie sie im damaligen Frankreich zu Hauf anzutreffen waren. Die Enttäuschung war zwar zunächst groß, hielt sich aber dennoch in Grenzen, denn dieser Graben war durch Pappeln und Dickicht regelrecht "eingezäunt" und spendete uns  zumindest wohltuenden Schatten. 

Ich glaube wir sahen es gleichzeitig, inmitten eines großen Haufens von vertrocknetem Reisig, der sich am Grund des Grabens angesammelt hatte, scharrte ein Huhn auf der Suche nach Futter. Wir - mein Begleiter und ich - schauten uns an und jeder wusste, was der andere dachte. Schnell waren wir uns einig, in welche Ecke wir das Huhn abdrängen mussten, damit es uns nicht entwischen konnte. Keine 10 Minuten später hatten wir es gefangen. Ich bin auf dem Lande aufgewachsen, wir hatten zuhause immer Hühner und deren Schlachtung war für mich fast Routine. Unser Huhn musste schon deshalb möglichst schnell ins Jenseits befördert werden, weil es ein Ohrenbetäubendes Gezeter und Gegacker veranstaltete.

Während ich unsere Beute rupfte, ausnahm und salzte, sammelte mein Weggefährte Holz, legte einige Steine zu einem  Kreis zusammen, rechts und links steckte er mit großer Geschicklichkeit je eine Astgabel für den Spieß  in den Boden und entfachte das Feuer.

Was soll ich sagen, eine gute Stunde später aßen wir mit großem Genuß das gegrillte Huhn,  das - zumindest in meiner Erinnerung - besser schmeckte, als all die vielen Grillhähnchen, die  in meinem späteren Leben noch folgen sollten.

 

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Mein Begleiter hatte andere Ziele als ich, vor allem aber verspürte er keine rechte Lust auf Arbeit und so trennten sich unsere Wege sehr bald wieder. Er wollte unbedingt nach Marseille, während ich einen Job auf einer Ferm in der Nähe von Valence fand.

Dort wurden Pfirsiche, Aprikosen, Feigen, Knoblauch, Zwiebeln und dergleichen mehr angebaut. Um die Ernte kümmerten sich fast ausnahmslos Saisonarbeiter. Der Patron selbst - so stellte sich bald heraus - war ein leidenschaftlicher Faulpelz, dessen Hauptbeschäftigung es war, auf der Strasse nach Saisonarbeitern Ausschau zu halten, denen er die Scheune als Schlafplatz anbot, sie darüber hinaus schlecht verpflegte und auch miserabel bezahlte. Zu seiner Ehrenrettung sei aber erwähnt, dass er die Arbeiter nach Kiloertrag entlohnte, wer flott arbeitete, hatte am Ende auch mehr in der Tasche.

Jeden Abend teilte der Patron für den kommenden Tag ein, welcher Arbeiter, was zu erledigen habe. Er selbst kümmerte sich jeden Tag um das Vieh und dies tat er mehr schlecht als recht, weil er - jeden Abend vom selbst erzeugten Rotwein besoffen - morgens nicht aus den Federn kam. Das Vieh konnte einem Leid tun, es brüllte mitunter bis in die Mittagsstunden, weil es noch nicht getränkt und gefüttert worden war. Ja, der Patron war ein übler Bursche, das kann man nicht andres sagen.

Immer schon ein Frühaufsteher, habe ich mich deshalb oft schon 2 Stunden vor der eigentlichen Feldarbeit, um die Tiere gekümmert, was vor allem der Frau des Hauses  nicht verborgen blieb. Sie musste sich um das große Haus kümmern, war eine Seele von einem Menschen und hatte nichts zu lachen. Sie wurde von ihrem Mann kaum besser behandelt als die Maulesel. Sie muss ihn wohl auf meine "Sonderschichten im Stall "aufmerksam gemacht haben, denn eines Abends wurde ich ins Haupthaus gerufen, wo er, seine Frau, seine erwachsene Tochter und sein ca. 10 jähriger Sohn beim Abendbrot an einem großen Tisch saßen. Am unteren Ende war auch für mich eingedeckt. Der Patron hatte wie immer eine Weinkaraffe vor sich stehen, die er mit einer gönnerhaften Geste zu mir rüber schob, während seine Frau mir freundlich lächelnd Speisen anbot.

Im ersten Stock, so begann das Gespräch, sei für mich ein Zimmer hergerichtet, ich bräuchte nicht mehr im Stroh zu schlafen, solle mich künftig um den Stall und das Vieh kümmern und um den Zustand der Felder, also nicht mehr Obst und Gemüse pflücken, wie die anderen Arbeiter.

Irgendwie war ich plötzlich zu einer Art Familienmitglied avanciert und wurde auch so behandelt. Durch die regelmäßigen Abende im Familienkreis bekam ich natürlich auch seine Alkoholeskapaden hautnah mit. Immer schon war mir aufgefallen, dass der Patron, vor allem, wenn sich das Wetter änderte, zu humpeln anfing und offensichtlich unter Schmerzen litt. Dann fluchte er ständig recht unflätig und schimpfte auf "die verfluchten Deutschen".

 

 

 

 

Jetzt, wo ich quasi "zur Familie dazu gehörte", sprach ich ihn bei einem abendlichen Glas Rotwein einmal an, was es denn damit auf sich habe, mit seinen ständigen Verwünschungen die "Deutschen" betreffend. Da erzählte er mir, er habe 14/18 in Verdun gegen die Deutschen gekämpft und einer dieser verfluchten Deutschen habe ihn mit einer Kugel an der Ferse erwischt und immer, wenn das Wetter sich ändere, wären die Schmerzen besonders schlimm.

Der Wein hatte aber auch meine Zunge gelockert, meine Fantasie in Gang gesetzt und so erwiderte ich mit todernster Mine: Ach sie waren das, mein Vater hat damals auch in Verdun gekämpft und er hat uns Kindern  oft die Geschichte erzählt, als alle Franzosen mutig kämpfend nach vorne stürmten, nur einer sich umdrehte und die Flucht ergriff. Vater war sich aber sicher, dass er diesen einen noch an der Ferse erwischt hatte.

So wahr ich Erhard Neumann heiße, von dem Tag an fluchte mein Patron bei jedem Wetterumschwung nur noch: "Der verdammte Neumann hat mir in den Fuß geschossen" Ich konnte ihm vorbeten, dass dies nur ein Scherz von mir gewesen sei und nicht stimmen würde, es half nichts, er blieb fest dabei und ließ sich nicht mehr umstimmen.

Vermutlich hatte der ständige Alkoholpegel in seinem Kopf schon irreparablen Schaden angerichtet.

 

Anmerkung: Mein Vater war tatsächlich an den Kämpfen um Verdun beteiligt, hatte aber, im Gegensatzt zu den unzähligen Gefallenen auf beiden Seiten,  das große Glück, in Gefangenschaft zu geraten und später gesund zur Familie zurückzukehren. 

 

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Die süßesten Früchte fressen nur die großen Tiere, doch weil wir beide klein sind und diese Tiere groß sind .... 

 

so begann der Text in einem Schlager der frühen 50er Jahre und dass da was dran ist, soll die Schilderung folgender Begebenheit belegen:

Eine weitere Möglichkeit der kostenlosen Nahrungsbeschaffung ergab sich in den "Weinbergen", die ja in Wirklichkeit keine Berge, sondern flache Anpflanzungen rechts und links der Route Nationale waren. Fast täglich ergab sich Gelegenheit, kurz darin zu verschwinden und sich den Bauch mit großen süßen Trauben vollzuschlagen. Es war wie im Schlaraffenland!

Natürlich war es streng verboten, sich dort zu bedienen und das wussten wir auch, aber Hühner fangen war auch nicht erlaubt, genauso wenig wie sich in Gärten oder vor Haustüren zu laben.
Wir waren auch nicht die Einzigen, die mal fünf gerade sein ließen. Als wir nämlich durstig und des Laufens müde, eines schönen Tages wieder mal die Reben plünderten, bekamen wir ungebetenen Besuch von einem Polizisten.

Die Reihen der Rebstöcke waren in der Regel im rechten Winkel zum Strassenverlauf gepflanzt, in einem Abstand von höchstens einem Meter. Wenn man also ca. 20 Meter ins Feld hinein ging und sich nur halblaut unterhielt, war es schon ein großer Zufall, dort wahrgenommen  zu werden. Es sei denn, ein Vorbeifahrender schaute ausgerechnet in diesem Moment nach rechts oder links. 

Nun ja, unser Polizist hatte entweder das Glück des Tüchtigen, oder aber er hatte einen Verdacht und uns aus einer Deckung heraus beobachtet, jedenfalls kam er mit seiner Mobylette (Mofa) gezielt angefahren und hielt uns eine flammende Strafpredigt, die wir - freundlich lächelnd - vorgaben nicht zu verstehen. Daraufhin kontrollierte er erstmal , wie üblich, unsere Papiere und das Bargeld. Wir spielten unserer Rolle gut und so hatte er,  mittels umfangreicher Zeichensprache von beiden Seiten, letztlich doch den Eindruck, dass wir den Sinn seines Einschreitens verstanden hätten. Gemeinsam gingen wir zurück zur Strasse und schlugen dieselbe Richtung gen Süden ein, Wir zu Fuß, der Polizist mit seinem Zweirad.

 

 

Kein einziges Auto hielt an und nach einigen Kilometern Fußmarsch fiel uns eine Mobylette auf, die gut getarnt in einer Mulde am Strassenrand lehnte. Unser Jagdinstinkt war augenblicklich geweckt. Wie Indianer schlichen wir uns lautlos an. Ich fass es nicht, saß da nicht "unser" Polizist - genüsslich Trauben verzehrend - zwischen den Rebstöcken!

Wir setzten uns hinzu, bedienten uns ebenfalls ausgiebig an den verbotenen Früchten und fragten ihn - diesmal in seiner Muttersprache - ob er denn nicht wisse, dass dies verboten sei?

 

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